Schon früh am Morgen fahre ich mit dem Zug ins Wallis nach Riddes, das sich zwischen Sion und Martigny befindet. Während der Zugfahrt höre ich ein paar Songs von Chris Stapleton, um mich auf meinen dritten Berglauf dieser Saison zu fokussieren. Mehrmals hintereinander höre ich den Song „White Horse“.
Ich steige in Riddes aus. Es ist wolkenlos und ein frischer Wind weht. Die Vorfreude ist gross: Ich habe den Lauf bereits 4x gewonnen, und zwar in den Jahren 2012, 2013, 2015 und 2016.
Es ist einer meiner Lieblingsläufe, da er mit 6,3 Kilometern zwar nicht sehr lang, aber dafür mit 960 Metern Steigung sehr, sehr steil ist. Meine Stärken liegen hier vor allem im unteren Abschnitt zwischen Riddes und Isérables, wo ein steiler Serpentinenweg hinaufführt, und auf dem letzten, praktisch überhängenden Kilometer. Der berühmtberüchtigte letzte Kilometer hat eine Steigung von 30% auf Naturweg!! Ich liebe ihn 🙂
Noch liegt Riddes im Schatten. Ich laufe mich vor dem Start ein. Musik läuft, die Stimmung ist gut. Der Lauf wird heute zum 20. Mal ausgetragen. Zudem ist hier heute die Walliser Berglauf-Kantonalmeisterschaft – an guter Konkurrenz fehlt es also nicht.
Um 10.00 Uhr fällt der Startschuss. Der erste Kilometer durch das Dorf verläuft anders als in den Jahren zuvor. Es geht zuerst ein wenig bergauf, nach einer Linkskurve dann flach, anschliessend folgt ein Abstieg. Hier werde ich von etlichen Läuferinnen und Läufern überholt, denn ich habe mir vorgenommen, den ersten Kilometer nicht zu schnell zu laufen – schliesslich wird es noch hart genug. Ich verliere den Überblick, wie viele Läuferinnen nun vor mir sind. Als es nach einer Rechtskurve endlich bergauf in den Wanderweg geht, fange ich langsam an zu überholen.
Der Serpentinenweg ist steinig und steil und er liegt mir sehr, wie schon erwähnt. Jetzt überhole ich alle, die zu euphorisch gestartet sind. Da der Pfad schmal ist, ist es auch nicht immer ganz einfach zu überholen; es kostet auch zusätzliche Energie. Irgendwo im letzten Viertel der Serpentinen laufe ich auf Mélanie Gobiet auf. Ich bleibe hinter ihr und sammle nun meine Kräfte für später und vor allem für den letzten Kilometer 😉
Der Serpentinenweg endet und es geht nun auf die geteerte Strasse Richtung Bergdorf Isérables. Bisher war man meistens noch im Schatten. Doch hier hat die Sonne den Hang bereits erreicht. Es fühlt sich richtig heiss an.
Kurz vor Dorfeingang wage ich es und überhole Mélanie Gobiet. Allerdings habe ich keinen blassen Schimmer, an welcher Position ich mich befinde. Mit einem guten Gefühl passiere ich das Dorf Isérables, wo es etwas flacher wird. Ich versuche mich nochmals ein wenig zu lockern und sammle meine Kräfte für meinen liebsten Abschnitt: den letzten Kilometer.
Bevor es richtig steil wird, kommt noch ein ganz kurzer Abstieg. Ich rechne immer damit, dass mich hier Mélanie Gobiet wieder überholt. Aber es ist nicht so. Ich nehme den letzten Kilometer unter die Füsse. Der Naturweg wird immer steiler und steiler. Ich überhole laufend Walker, die eine halbe Stunden vor uns gestartet sind. Meistens renne ich. Aber es hat ein paar Passagen, die so steil sind, dass ich mit grossen Schritten, vornübergebeugt, mit der Nasenspitze den Weg küssend, fliessend hinauflaufe. Es ist anstrengend, ich atme heftig, aber ich fühle mich sehr gut dabei und ich glaube auch, dass ich auf sehr gutem Kurs bin.
Total ausgepowert und glücklich überschreite ich die Ziellinie auf Les Crêteaux. Für mich fühlt es sich wie ein Sieg an, auch wenn ich in dem Moment meinen Rang noch nicht weiss. Erst bei der Rangverkündigung realisiere ich, dass ich hier zum 5. Mal gewonnen habe – unglaublich! Ich freue mich riesig und habe noch nicht genug – ich komme nächstes Jahr wieder!
Ein grosses DANKESCHÖN an den Veranstalter Club d’athlétisme de Vétroz für die tolle Organisation dieses sympathischen und exklusiven Walliser Berglaufs!! Und im Besonderen an Sylviane Bruchez aus dem Organisationskomitee für die Einladung und die freundliche Begrüssung.