Comeback und Sieg am Verticale du Suchet VD – 8.10.2022

Am Vorabend war ich überhaupt nicht nervös. Doch als ich am Morgen nach dem Aufstehen in den Spiegel schaue und in Gedanken zu mir sage: „Eigentlich will ich heute gewinnen…“, überkommt mich ein Kribbeln, das ich schon lange nicht mehr hatte, denn – seit meinem letzten Berglauf auf den Belpberg im August 2021 konnte ich verletzungsbedingt keinen einzigen Wettkampf mehr bestreiten.

Mein Vater holt mich morgens mit dem Auto ab. Die Anfahrt zum Startort in Les Mélèzes, im Kanton Waadt, ist etwas länger. Auf der Hinfahrt fängt es ziemlich heftig an zu regnen. Ich denke nochmals an die sportlich gesehen schwierige Zeit zwischen meinem letzten Berglauf und dem heutigen Comeback zurück.

Wegen meiner Fussfehlstellung und damit verbundenem Verletzungsrisiko habe ich mein Lauftraining immer auf ein absolutes Minimum beschränkt und dafür mehr auf dem Rennrad trainiert (auch wenn ich wegen des minimalen Lauftrainings immer gewisse Nachteile hatte). Da es mir im Sommer 2021 läuferisch so gut gegangen war, machte ich, weil ich zu euphorisch wurde, einen gravierenden Fehler: Ich habe in 3 Tagen 2 Wettkämpfe bestritten, was ich sonst nie tue.

Das hatte eine schmerzhafte und langwierige Sehnenentzündung an der Fussunterseite zur Folge. Nach einer kompletten Bewegungspause konnte ich nach einer Weile dank Alternativtraining wieder mit Velofahren anfangen. Aber richtige Trainings auf dem Rennvelo konnte ich erst ab Mitte Juli 2022 wieder absolvieren. Auch wenn die Entzündung immer noch nicht komplett verschwunden ist, versuchte ich 1x die Woche zu Fuss einen Berg hochzukommen – zuerst mit schnellem Hiking, dann in Kombination mit Jogging. Bis jetzt hat das gut funktioniert, die Entzündung ist dadurch nicht schlimmer geworden.

Weil es mir im Training so gut gelaufen ist, fasste ich den Entschluss, noch dieses Jahr einen Berglauf zu machen und zwar diesen heute: 4 km Streckenlänge und 900 Meter Höhenunterschied!

Ich starte im Regen. Es ist Einzelstart – alle 30 Sekunden startet ein Läufer. Das ist hier praktisch, weil es am Anfang einen eher schmalen Waldpfad hochgeht, welcher bei einem Massenstart zu Staus führen würde.

Zuerst führt der Weg über Stock und Stein durch den Wald. Es ist glitschig und technisch zum Laufen, was mir jedoch liegt. Die Laufstrecke ist von Anfang an steil und wird durch kurze „flachere“ (soweit man hier von flach sprechen kann) Abschnitte aufgelockert, jedoch wird sie weiter oben immer steiler. Irgendwann hört es auf zu regnen. Mir läuft es gut, ich überhole immer wieder Läufer, die vor mir gestartet sind.

Im Allgemeinen laufe ich eher etwas vorsichtig, aber so, dass ich im letzten Abschnitt doch noch mal richtig aufdrehen kann. Überglücklich, dass es mir so gut gelaufen ist, passiere ich die Ziellinie, auch wenn ich noch nicht weiss, wie die Rangliste ausfällt!

2020 lief ich hier in sehr schnellen 40:04 und wurde hinter der französischen Weltklasseläuferin Christelle Dewalle 2. Heute, das war vorher klar, würde ich eine solche Leistung nicht hinkriegen, weil mir nach so langer Laufpause und so kurzer Vorbereitungszeit (und so wenigen Lauftrainings) die Form einfach fehlt. Ich bin satte 3 Minuten langsamer als damals, trotzdem reicht es mir heute zum Sieg und vor allem zu einem absolut gelungenen Comeback!

2. Rang am Verticale du Suchet VD – 10.10.2020

Eine längere Zugfahrt in den Kanton Waadt steht bevor. Es regnet und ist kalt. Ich hoffe, dass es auf der Laufstrecke nicht zu matschig wird und zuoberst auf dem Gipfel keinen Schnee hat!

Heute mache ich einen Vertikal mit Start in Les Mélèzes. Das Ziel ist auf dem schönen Mont Suchet, den ich von früheren Wanderungen über die Juragebirgszüge schon kenne. Der Unterschied zu einem klassischen Berglauf ist, dass hier nicht die Kilometer zählen, sondern die Höhenmeter: Der Vertikal führt auf dem direktesten Weg vom Start zum Ziel, sprich: Die Strecke ist 4 Kilometer lang und man bewältigt 900 Meter Höhenunterschied! Und auf das freue ich mich riesig! 😊

Es sind fast 250 Teilnehmer angemeldet (mehr sind nicht erlaubt). Auf dem Startgelände hat es nicht viele Leute, denn es ist Einzelstart. Alle 30 Sekunden startet ein Läufer; jeder hat seine genaue Startzeit. Das ist einerseits praktisch, um Massenansammlungen zu vermeiden (Vermeidung von Corona-Ansteckungen), andererseits kommt es beim Lauf und vor allem am Anfang zu keinen Staus auf der Strecke. Schliesslich führt die Strecke zuerst über einen Waldweg über Stock und Stein bis zur Baumgrenze. Dann läuft man stotzägredi (um es berndeutsch auszudrücken – dieser Begriff bringt es auf den Punkt) über das Bord zum höchsten Punkt auf dem Mont Suchet.

Für mich ist es eine Premiere, denn ich hatte noch nie einen Einzelstart an einem Lauf. Beim Einzelstart hast du keine direkte Konkurrenz, kein Läuferfeld und niemanden vorne, der dich ‚zieht‘. Aber wie gesagt, das muss überhaupt kein Nachteil sein, für mich jedenfalls nicht: Ich komme in keinen Stau, Überholen ist kein Problem und ich habe praktisch immer freie Bahn! Und: ich kann von Anfang an meinen eigenen Rhythmus laufen, ohne zu schnell starten zu ‚müssen‘. Für mich hat diese Art Lauf nur Vorteile!

Zum Glück hat es aufgehört zu regnen! Als ich loslaufe, komme ich sofort in einen guten Laufrhythmus und der steile Pfad macht mir einfach Spass! Auf der ersten Hälfte der Strecke überhole ich immer wieder Läuferinnen und Läufer, welche vor mir gestartet sind. Ich merke gleich, dass mir der Vertikal sehr gut liegt und ich komme so richtig in Fahrt!

Meine Befürchtungen wegen Matsch haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Es hat nur ganz vereinzelt wirklich rutschige Stellen. Auch hat es keinen Schnee!

Das Lustige ist, dass auf der Strecke keine Kilometer angegeben werden. Es hat Tafeln mit der Angabe, wie viele Höhenmeter man schon hinter sich hat! Als ich bei der Tafel mit 700 Höhenmetern vorbeilaufe, weiss ich, dass ich noch 200 vor mir habe, und das geht noch soo laaange….

Der Berglauf ist von Anfang an technisch anspruchsvoll. Und je näher das Ziel rückt, umso steiler wird es! Man muss beim Laufen kraftvoll abstossen und mit den Armen den Schwung mitnehmen. Ich habe noch 100 Höhenmeter zu machen und bin völlig im Flow und im Nebel 😁 !

Etwas unterhalb des Ziels steht mein Trainer und feuert mich an. Ich bin immer noch im Überholmodus und habe einfach eine Riesenfreude, weil es mir so gut läuft und es ein echtes Erlebnis ist, auf so einer Rampe einfach ‚hochzufliegen‘! Ich bin so begeistert, dass ich schon vor dem Zieleinlauf juble und die Arme hochstrecke! Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss, wie ich rangiert bin, freue ich mich über den schönen Lauf und die tolle Leistung – wenn’s läuft, dann läuft’s 😉 !

Am Nachmittag ist die Rangliste im Internet verfügbar. Mein gutes Gefühl hat mich nicht getäuscht: Ich werde 2. hinter der Französin Christel Dewalle (Bronzemedaillengewinnerin an der Berglauf-Europameisterschaft 2019) und freue mich extrem darüber! 3. wird Mélanie Jeannerod. Sowohl bei den Damen wie auch bei den Herren wird der Streckenrekord gebrochen. Übrigens ist meine Laufzeit sehr schnell: Overall mit den Männern werde ich 16.!

Für die Overall-Rangliste der Damen scrolle bis S. 21 ‚Scratch femmes‘. Overall-Rangliste der Herren auf S. 9.

Ohne Bewölkung würde man die Alpen sehen.
Danke meinem Trainer für die tolle Unterstützung!
An einem Verticale zählen nicht die Kilometer, sondern die Höhenmeter. Hier hat man 700 Meter Höhendifferenz geschafft – 200 stehen noch bevor…